Nicht immer nehmen wir alle diese Einrichtungen bewusst wahr, wenn wir an ihnen vorbeigehen, aber ihre Anwesenheit beeinflusst mit großer Wahrscheinlichkeit dennoch unser Gefühl, an einem Ort zu sein, auf einer unbewussten Ebene. Die Auswirkungen dieser ganzheitlichen städtischen Funktionsumgebungen auf das Ortsgefühl stehen im Mittelpunkt einer Fallstudie, die Jun.-Prof. Dr. René Westerholt vom Fachgebiet Raumbezogene Modellierung als Ergebnis einer internationalen Kollaboration in der Zeitschrift Cities veröffentlicht hat.
Die Datenerhebung erfolgte mittels einer Web-Mapping-gestützten Umfrage, bei der wir nicht nur traditionelle Umfrageantworten sammelten, sondern die Befragten auch baten, räumliche Fußabdrücke der für sie bedeutsamen Orte auf eine Karte zu zeichnen. Auf diese Weise konnten wir zum einen ein psychologisches Modell des Ortssinns operationalisieren, das drei Dimensionen umfasst: Ortsabhängigkeit, Ortsbindung und Ortsidentität. Andererseits ermöglichen es uns die Polygone, die gegebenen Antworten mit Punktmerkmalen zu verbinden, die städtische Einrichtungen beschreiben und die wir aus Google Places extrahiert haben. Diese verschiedenen Aspekte wurden dann in ein Strukturgleichungsmodell eingespeist, um latente Konstrukte zu operationalisieren, die die drei genannten Dimensionen des Ortssinns und verschiedene Arten von Kategorien städtischer Einrichtungen repräsentieren. Ein Hauptergebnis unserer Forschung ist, dass der zeitliche Rhythmus, d. h. die Art der wiederkehrenden Interaktion mit und an Orten, eine zentrale Rolle für die Beziehung zwischen städtischen Einrichtungen und Ortssinn zu spielen scheint. Die Modellierungsergebnisse zeigen, dass die Exposition gegenüber alltäglichen städtischen Einrichtungen wie Lebensmittelgeschäften negativ mit Ortsidentität korreliert ist, während Einrichtungen, die Freizeitorte darstellen, negativ mit Ortsbindung korreliert sind. Ein auffälliger Unterschied zwischen diesen beiden Kategorien ist die Häufigkeit, mit der Menschen typischerweise mit ihnen interagieren (neben anderen Unterschieden, die mit Funktionalität und anderen Aspekten zusammenhängen). Eine zweite wichtige Erkenntnis, die sich aus der ersten ergibt, ist, dass die Menschen Orte auch dann als sinnvoll erachten, wenn sie negativ mit bestimmten Dimensionen des Ortssinns verbunden sind. Trotz der aufgedeckten negativen Zusammenhänge bezeichneten viele Befragte die entsprechenden Gebiete als persönlich bedeutsam. Die letztgenannte Erkenntnis führt zu einem dritten Ergebnis unserer Untersuchung, nämlich dass Begriffe wie Supermodernität, Non-Place und Ortlosigkeit in unseren Ergebnissen nicht in extremer Form vorkommen. Sogar häufig als anonym und ortslos beschriebene Transiträume werden berichtet und scheinen somit gewisse ortsprägende Qualitäten zu haben, was eine differenziertere Betrachtung dieser Begriffe erforderlich macht.
Weitere Schlussfolgerungen, Einzelheiten und Handlungsempfehlungen finden Sie im Artikel selbst:
Westerholt, R., Acedo, A. and Naranjo-Zolotov, M. (2022): Exploring sense of place in relation to urban facilities – evidence from Lisbon. Cities. DOI: 10.1016/j.cities.2022.103750.