Den Kommunen stehen zum Schutz und zur Weiterentwicklung historischer Strukturen und Gebäude zwar unterschiedliche Instrumente wie beispielsweise Denkmalpflegepläne oder Satzungen zur Verfügung und die Anwendung des Instrumentariums ist längst gängige Praxis – dennoch werden in jüngerer Zeit neue Dynamiken spürbar. Entweder weil vorhandene Pläne nicht mehr aktuell sind, weil jüngere Zeitschichten nicht erfasst sind oder sich in der Praxis die zur Verfügung stehenden Werkzeuge als unzureichend erwiesen haben. Auf der Grundlage dieser Beobachtung spannten die Diskussionen der Tagung den Bogen zwischen Erfassung der Bestände über die Erprobung neuer Werkzeuge bis hin zu konkreten Ansätzen des Weiterbauens.
Den Einstiegsvortrag in die Jahrestagung hielt der Historiker Prof. em. Dr. Lucian Hölscher von der Ruhr-Universität Bochum mit einer theoriegeleiteten Betrachtung der „Zeitschichten der Stadt“. Er beschrieb die aufeinander folgenden Phasen von Errichtung, Nutzung, Überbauung und schließlich Entsorgung von Bauten, die – so Hölscher – auf eine Dialektik von Utopie und Enttäuschung in den Architektur- und Stadtplanungen des 20. Jahrhunderts verweisen würden. Den Bauwerken der Gegenwart ist demnach eine spezifische Zukunftsästhetik inhärent, die der Gesellschaft der Zukunft eine visuelle Signatur zu geben verspricht. Zunächst, denn auch diese Schichten werden von den folgenden überlagert. Und Hölscher betonte, dass wir derzeit wieder am „Beginn einer neuen Phase des Aufbruchs“ stünden. – Man könnte es als ein Signal deuten, um auch über neue Werkzeuge für die Zeitschichten der Stadt nachzudenken.
Die Beiträge des ersten Themenblocks „Zeitschichten erfassen“ befassten sich dann mit den ganz realen Problemen der Stadtentwicklung. Eher theoretisch näherte sich Prof. Dr. Hans-Rudolf Meier von Bauhaus-Universität Weimar; er fragte nach den Aufgaben einer zukunftsgerichteten Denkmalpflege, die über die rein defensive Verteidigung des Bestandes prospektiv agieren und sich frühzeitig in Planungsprozesse einbringen müsste. Als wesentliche Voraussetzung hierfür sieht er eine intensive Bürger- und Nutzerbeteiligung, die bislang noch nicht alltäglich ist. In diesem Kontext zeigte das von Judith Sandmeier, Referentin beim Bayerischen Landesamt für Denkmalpflege, vorgestellte Kommunale Denkmalkonzept (KDK) einen Ansatz auf, um wachsenden Anforderungen gerecht zu werden. Beim KDK werden auf Grundlage denkmalpflegerischer Erhebungsbögen unter Federführung der Kommunen dem jeweiligen Ort geschuldete spezifische Konzeptionen erarbeitet, in die alle Beteiligten eingebunden werden. Einen anderen und eher städtebaulich geprägten Blickwinkel brachte Siegfried Thielen von der Stadt Münster mit der Vorstellung der Konversionsprozesse denkmalwerter Kasernen in Münster in die Diskussion ein.
Mit „Werkzeuge erproben“ war der zweite Themenblock überschrieben und die eingeladenen Diskutanten zeigten auf, wie ein „Werkzeugkasten“ im Umgang mit Bauten und Anlagen aus den jüngeren Zeitschichten gefüllt werden kann: So setzt sich die Initiative „Brutalismus im Rheinland“, die von Anke von Heyl vorgestellt wurde, über soziale Netzwerke wie Facebook und Instagram für den Erhalt brutalistischer Bauten im Rheinland ein und erreicht damit ein breites Publikum weit über das Rheinland hinaus. Einen anderen Weg zeigte Theo Deutinger mit der von ihm gegründeten Initiative „Ruhrmoderne“ auf. Sie möchte die Nachkriegsarchitektur – unabhängig von Denkmalschutzfragen – in einen Transformationsprozess überführen, um sie vor der Entstellung bzw. ungeprüften Abbrüchen zu bewahren. Die Initiative „Kerberos. Zum Schutz Berliner U-Bahnhöfe“, für die Ralf Liptau anwesend war, hat sich dem Erhalt der Berliner U-Bahnhöfe der Nachkriegszeit verschrieben. Sie haben in einem offenen Brief auf den baukulturellen Wert der U-Bahnhöfe hingewiesen und damit das Interesse der Öffentlichkeit und schließlich der institutionellen Denkmalpflege geweckt. Seither sind schon einige U-Bahnhöfe unter Schutz gestellt worden; weitere sollen folgen. Dr. Christoph Rauhut vom Deutschen Nationalkomitee für Denkmalschutz betrachtete schließlich die große Menge der zwischen 1950 und 1980 errichteten Bauten in Deutschland. Die enorme Zahl zwinge dazu den Prozess von Erfassung und Erhaltung zu „demokratisieren“. Bildung, Interesseweckung, Begeisterung, Engagement von Künstlern und Initiativen, Gleichberechtigung von Denkmal und erhaltenswerten Bauten, dies könnte zu einem gesellschaftlichen Aufbruch führen, wie etwa in den 1980er Jahren des vorigen Jahrhunderts.
Die Implementierung von Werkzeugen um die „Historie weiterzubauen“ war Gegenstand des dritten Themenblocks. Eine Strategie wurde von Helga Sander, Stadterneuerungsgesellschaft Gelsenkirchen, für die Erneuerung der Bochumer Straße in Gelsenkirchen-Ückendorf vorgestellt. Hier wird ein neuer Weg in der Stadterneuerung beschritten, denn durch Grundstückserlöse in einem anderen Gelsenkirchener Stadtgebiet werden immobilienwirtschaftliche Maßnahmen wie Ankauf, Sanierung und Entwicklung in Ückendorf finanziert und neue Nutzungen etabliert. Ganz anders in Bad Hersfeld, hier griff man auf das bewährte Instrument der Sanierungssatzung zurück, mit dem die heterogenen Stadtbereiche unter großzügiger Entwicklung grün-blauer Infrastruktur zusammenhängend entwickelt wurden.
Abschließend berichtete Christine Kalka vom Ministerium für Heimat, Kommunales, Bau und Gleichstellung Nordrhein-Westfalen vom Landesprogramm „Städtebaulicher Denkmalschutz“, das seitens des Ministeriums als ganzheitlicher „stadtplanerisch-integrierter“ Ansatz verstanden wird. Ziel des Programms ist es, die historischen Stadtbereiche als vitale Räume für alle Gruppen der Stadtgesellschaft zu erhalten und weiter zu entwickeln. Nicht nur der physische Erhalt der denkmal- und erhaltenswerten Gebäude stehe dabei im Vordergrund, sondern gleichberechtigt sind auch „weiche“ Faktoren wie etwa soziale, gesundheitliche und ökonomische Aspekte.
Die Jahrestagung machte deutlich, dass eine Vielzahl an alten und neuen Werkzeugen und Instrumenten in der städtebaulichen Denkmalpflege erfolgreich Anwendung findet und aus den vorgestellten Beispielen einiges übertragbar ist; gleichwohl wurde aber auch offenbar, dass das Instrumentarium für weitere anstehende Aufgaben noch nicht reicht und neue Allianzen und Verbünde über den Kreis der Denkmalpflege hinaus sinnvoll sind. Mit dem interdisziplinär besetzten Kreis der Referenten und der Teilnehmenden konnte die Jahrestagung hierzu bereits einen kleinen Beitrag leisten.
Kontakt: Yasemin Utku