Barrierefreie Stadtgestaltung wird meist mit Rampen für Rollstuhlfahrer:innen oder Leitstreifen für blinde Menschen assoziiert – dass über 90 % der Behinderungen unsichtbar sind, ist hingegen kaum bekannt. Im Fachdiskurs bleiben Raumansprüche von unsichtbar behinderten Menschen weitgehend unerwähnt, auch in der Planungspraxis finden sich nur wenige Umsetzungsbeispiele. Das F-Projekt 14 „Hello from the other side - Die (Nicht-)Berücksichtigung von Menschen mit unsichtbaren Behinderungen in der räumlichen Planung“ will dazu beitragen, die Forschungs- und Umsetzungslücke zu schließen und Planer:innen für die Bedürfnisse dieser Personengruppe in Hinblick auf Planungsprozesse und die -maßnahmen zu sensibilisieren. Exemplarisch untersucht die Gruppe Menschen mit Demenz, Gehörlosigkeit und Autismus-Spektrum-Störungen.
Im März unternahm das zwölfköpfige Projekt eine Exkursion ins französische Évreux, um Einblicke in eine Stadt zu erhalten, die sich gezielt mit dem Thema auseinandersetzt. Begleitet wurde sie von der Betreuerin Katrin Gliemann (IPS) und der Beraterin Anja Szypulski (SOZ). Die Europäische Kommission zeichnete die Stadt in der Normandie bereits zweimal mit dem „Access City Award“ für ihren Einsatz für Menschen mit unsichtbaren Behinderungen aus. Vor Ort führte das Projekt Interviews, u.a. mit der stellvertretenden Bürgermeisterin Francine Maragliano, die die Thematik wesentlich vorantreibt. Zudem führte der Leiter des Gesundheitshauses, Julien Boscher, die Gruppe durch den Stadtkern und machte auf verschiedene Umsetzungsbeispiele aber auch auf noch ungelöste Probleme aufmerksam. Wie stark der Erfolg solcher Strategien von der Einbindung der Zielgruppen abhängt, zeigte die Teilnahme an einer Sitzung des „Grenelle du Handicap“ – ein Forum von Fachleuten, Betroffenen und Multiplikator:innen. Da es zu dem Thema bisher nur wenige dokumentierte Erfahrungen gibt, orientiert sich Évreux vor allem an den konkreten Alltagserfahrungen der Bewohner:innen mit „handicaps invisibles“. Dadurch entstanden Projekte wie ein Spielplatz für autistische Kinder, ein an die Bedürfnisse unsichtbar behinderter Menschen angepasstes Kino oder spezielle Leitsysteme an ÖPNV-Haltestellen und in Fahrplänen. Das F-Projekt wird die Erfahrungen aus Évreux ebenso wie die in Deutschland durchgeführten Interviews und Recherchen nutzen, um eine Defizitanalyse durchzuführen und konkrete Vorschläge für eine bessere Berücksichtigung der Bedürfnisse unsichtbar behinderter Menschen zu entwickeln.
Kontakt: katrin.gliemann@tu-dortmund.de
Bildzeile: Vor-Ort-Termin mit Mitarbeiter:innen der Stadt Evreux auf einem Spielplatz, der die Bedürfnisse autistischer Kinder besonders berücksichtigt.
Foto: Katrin Gliemann