Thorsten Wiechmann moderierte den Round Table und führte in das Thema ein. Er wies auf die Relativität nicht nur von Raum, sondern auch von Zeit, als fundamentaler Dimension von Planung, hin. Mit Bezug auf Letztere konstatierte er vermehrt konzeptionelle und empirische Publikationen in der Planungsforschung. Anschließend stellte er die Teilnehmenden vor und bat um prägnante einführende Inputs, um dann in die Diskussion mit den ca. 60 Anwesenden überzugehen. Die Inputs zielten auf die Fragen „Why bother?“ und „What next?“.
Prof. Simin Davoudi, Newcastle University, führte den Begriff des „Temporal Turn“ in der Planung in die Diskussion ein. Ihre Antwort auf die Frage Why bother? war prägnant: Weil Zeit politisch ist. Sie fand, dass ein Verständnis von Raum und Zeit als Container, die durch Planung kontrolliert werden, zunehmend ungeeignet erscheine, wie bereits vereinzelt von wissenschaftlicher Seite festgestellt wurde. Sie unterstrich die Dringlichkeit, der Frage „Wessen Zeit wird in der Planung wertgeschätzt?“ mehr Aufmerksamkeit zu widmen und veranschaulichte dies durch Verweise auf diverse Bezüge zu Akteuren und Ontologien. Im Einklang mit anderen Beobachtern stellte sie einen wachsenden Einfluss einer ökonomischen Perspektive auf Zeit in der Planung fest. Sie zeigte sich jedoch optimistisch, dass „präfigurative Planung“ dazu beitragen könne, das Vertrauen in die räumliche Planung zu stärken.
Aus dem Blickwinkel strategischer räumlicher Planung befasste sich Prof. Dr. Raine Mäntysalo, Aalto University, mit Zeit und Temporalität. Seine Antwort auf die Frage Why bother?: Weil Zeit nicht als Konstante, sondern als Variable und strategische Ressource in Planung, Umsetzung und Evaluation auftritt. Er erläuterte, dass strategische Planung sich mit der Entwicklung von Planungsprozessen befasse, Planung eng mit der Komplexität ihrer Umsetzung verknüpft sei, Planung sich mit Unbestimmtheit auseinandersetze und jegliche Planungsinstrumente sowie -prozesse zeitlich zusammenhingen. Zeit sei folglich eine Variable in strategischer Planung, würde jedoch häufig als Konstante behandelt. Planungstheorie müsse sich daher intensiver mit Zeit und Temporalität auseinandersetzen.
Aus ihrer kürzlich abgeschlossenen Dissertation zum Thema Temporalität und strategische räumliche Planung an der Aalborg University berichtete Dr. Miriam Jensen. Zur Einführung in das Thema zitierte sie aus der Arbeit von Barbara Adam, um zu verdeutlichen, dass nicht nur normale Bürger*innen, sondern auch Expert*innen Probleme haben, Zeit und Zeitlichkeit zu ergründen und darüber zu reflektieren. Ihre Dissertation setzte sich daher theoretisch und methodisch mit der Berücksichtigung temporaler Mismatches und Konflikte sowie der Etablierung eines stärker zeitsensiblen Ansatzes in der Planung auseinander. Ihre Antwort auf die Frage Why bother? lässt sich wie folgt zusammenfassen: Weil Konflikte in der Planung auch aus widersprüchlichen Temporalitäten entstehen. Um diese Konflikte zu überwinden, sprach sie sich dafür aus, den pauschalen Kontrast moderne versus postmoderne Planung zu überwinden und Temporalität gezielt als Rhythmen und Praktiken individuellen, sozialen und natürlichen Lebens zu betrachten. In ihrer Dissertation entwickelte sie neue Werkzeuge für die deliberative Planung, um zeitliche Mismatches und Konflikte zu visualisieren und Wege zu finden, mit ihnen umzugehen.
Dr. Gérard Hutter stellte das im April begonnene 3-jährige DFG-Projekt „Temporalität und strategische Planung – Zum Timing von Strategieveränderungen am Beispiel des Emscherumbaus“ (TEMPUS) vor. Er erläuterte, dass das Projekt rund vier Jahrzehnte regionaler Strategieentwicklung im Ruhrgebiet, vom Wasserinfrastrukturprojekt zum integrierten Strategieprozess, untersucht. Zeit und Temporalität stehen beim Projekt im Fokus, um den Prozess der Strategieveränderung tiefschürfend zu analysieren, insb. das Timing, warum zu bestimmten Zeitpunkten Strategieveränderungen eintraten. Seine Antwort auf die Frage Why bother? lautete in Kurzform: Weil Erklärungen über Pfadabhängigkeit hinausgehen sollten. Er führte aus, dass zur Untersuchung des Emscherumbaus kumulative und graduelle Transformationsprozesse zu berücksichtigen seien. Mit Blick auf die Praxis plädierte er dafür, dass strategische Planer für effektives Handeln historisches Wissen zu Strategieprozessen einbeziehen müssten. In diesem Sinne sei frei nach Karl E. Weick jeder strategische Planer auch ein Historiker.
Damit, wie unterschiedliche Machtregime zeitliche Horizonte herausbilden und wie dies wiederum die ideologischen, politischen und affektiven Horizonte der Planung prägt, beschäftigte sich Andy Inch, University of Sheffield. Bezüglich der Frage Why bother? sprach er sich dafür aus, mehr über Zeit zu reden und zu reflektieren, um das Verhältnis von Macht und Planung zu analysieren. Er unterstrich, dass Zeit eng mit Emotionen verknüpft ist, und deren Bedeutung in der Planungsforschung und -praxis daher ausreichend gewürdigt werden muss. Auch warnte er, dass er eine reine Verschiebung der Perspektive auf die zeitliche Dimension der Planung nur wenig bewirken würde, weil insb. die „Welt da draußen“ Veränderung bedarf. Daher sollten zeitliche Konflikte neben anderen in ihrem Verhältnis zu materiellen Konflikten zwischen Interessen der Mächtigen und der Benachteiligten untersucht werden.
Auf die einführenden Inputs folgten lebhafte Diskussionen mit dem Publikum, die nur grob zusammengefasst werden können (von eher zustimmenden bis zu kontroverseren Themen):
• Erfreulicherweise brachten die einführenden Redebeiträge und die Diskussion einige gemeinsame Bezugspunkte hervor, die die Kommunikation erleichterten (z. B. das Konzept der Timescapes von Barbara Adam).
• Weitgehend Konsens bestand darüber, dass aus unterschiedlichen Gründen mehr Aufmerksamkeit für Zeit und Temporalität angezeigt ist (z. B. Politik, strategische Planung, zeitliche Konflikte, Strategieveränderungen, Macht).
• Einige Anhaltspunkte für stark prioritäre Themen wurden identifiziert (z. B. Synchronisation, Beschleunigung von Planung und Planungen), wobei die Festlegung einer künftigen Forschungsagenda durch den Round Table nicht intendiert war.
• Einige Teilnehmenden empfanden die Aussagen und Diskussionen als sehr komplex und fuzzy, und fragten sich, welche Auswirkungen die Debatte auf Forschung und Praxis haben würde.
Unter dem Strich thematisierte der Round Table „Temporality in Planning Thought“ eher die Frage „Why bother?“ als „What next?“. Mit Blick auf die nahe Zukunft und eine Stärkung der zeitlichen Dimension in Planungsforschung, -lehre und -praxis bekräftigten viele Teilnehmer*innen ihr Interesse an einer Fortsetzung des Austauschs und (projektbasierter) Vernetzung. Es herrschte Einigkeit darüber, künftige AESOP-Jahreskongresse hierfür zu nutzen.
Kontakt: Prof. Dr. Thorsten Wiechmann, Benno Schröder