Die vielerorts ausgerufenen „Wohnungsbauoffensiven“ rücken die Planung und Umsetzung neuer Wohnquartiere stärker als in den Jahren zuvor in den Vordergrund. Ihre Funktion ist in der Regel die Entlastung eines lokal angespannten Wohnungsmarktes, strukturell unterscheiden sie sich jedoch in Größe, Vielfalt und Zielgruppen. Auch der Entstehungs- und Beteiligungsprozess kann über die planungsrechtlich festgelegten Methoden und Verfahren sehr unterschiedlich sein, z. B. rein investorengesteuert oder eher kleinteilig und partizipativ über Baugruppen.
Vor diesem komplexen wohnungs- und stadtentwicklungspolitischen Hintergrund setzte sich das Kolloquium erfolgreich das Ziel, aus unterschiedlichen fachlichen Perspektiven einen umfassenden Überblick über die neuen Wohnquartiere der letzten Jahre zu vermitteln. Nach einer wissenschaftlichen Einführung in das Thema wurde in einem Bericht über eine aktuell laufende Erhebung zur Qualität und den Merkmalen neuer Wohnquartiere in Deutschland deutlich, dass diese in Nordrhein-Westfalen oftmals andere Merkmale aufweisen als in den anderen Bundesländern. Ein Beispiel: In der Zeit seit dem Jahr 2010 werden in den in Nordrhein-Westfalen gelegenen neuen, großen Wohnquartieren zu 60% Ein- und Zweifamilienhäuser errichtet, während dies in den anderen Bundesländern im Schnitt nur zu 28% der Fall ist.
Praxisbeispiele aus Hamburg und Köln zeigten zudem eindrucksvoll die Potentiale von Baugemeinschaften in der bewohnerorientierten Wohnraumversorgung. Der Stadtstaat Hamburg sieht z. B. vor, in der Quartiersentwicklung bis zu 20% der Flächen für Baugemeinschaften vorzuhalten. Dies gelingt nur mit einem sehr professionellen und institutionalisierten Beratungsangebot, wie es in Hamburg z. B. über die städtische Agentur für Baugemeinschaften und eine eigene Wohnraumförderung für Baugemeinschaften angeboten wird. Aber Geld und Beratung allein schaffen noch keine funktionierenden Nachbarschaften. Wie diese langsam entwickelt und gestärkt werden können, zeigte der eindrucksvolle Vortrag eines „Wunschnachbarn“ – so nennt sich eine Baugruppe auf dem Clouth-Gelände in Köln.
Auf dem Kolloquium wurden jedoch nicht nur neue Quartiere vorgestellt. Der „Scharnhauser Park“ in Ostfildern bei Stuttgart ist auch nach 25 Jahren ein hervorragend funktionierendes Quartier, das gesellschaftliche Änderungsprozesse gut bewältigt hat. Als wesentliche Elemente hierfür wurden u. a. die Partizipation der BewohnerInnen, Dichte und Vielfalt der Wohntypologien im Zusammenspiel mit einer gelungenen sozialen Mischung im Quartier und Gebäude, zeitgemäße ökologische Standards und Angebote sowie eine fortlaufende Qualitätssicherung, z. B. über Rahmenpläne, iterative Planverfahren und Realisierungswettbewerbe, identifiziert.
Die fünf fachlich anregenden Beiträge sorgten für lebhafte Diskussionen und spannten einen weiten Bogen von der Wissenschaft und Forschung über die Wohnungspolitik und ‑wirtschaft bis hin zur zivilgesellschaftlichen Praxis. Sie erfüllten sehr anschaulich das gesetzte Ziel eines facettenreichen Einblicks in den aktuellen Stand der Quartiersentwicklungen und gaben zukünftigen Vorhaben konkrete Hinweise, die zu einem auch im Sinne der BewohnerInnen nachhaltigen Wirken neuer Quartiere in der Stadt beitragen können.
Fotograf: ©Uwe Grützner
ReferentInnen und OrganisatorInnen des 12. Wohnungspolitischen Kolloquiums 2019
Von links: Lisa Faulenbach (IRPUD), Stadtbaudirektor Karl-Josef Jansen (Ostfildern), Dr. Heike Opitz (Behörde für Stadtentwicklung Hamburg), Prof. Dr. Robin Ganser (Hochschule für Wirtschaft und Umwelt, Nürtingen-Geislingen), Melanie Kloth (NRW.BANK), Anno Kluß (Wunschnachbarn, Köln), Dr. Anja Szypulski (SOZ), Dipl.-Ing. Henrik Freudenau (StadtRaumKonzept GmbH), Dr. Thorsten Heitkamp (NRW.BANK)
Kontakt: Lisa Faulenbach, Dr. Anja Szypulski