Sprungmarken

Servicenavigation

Hauptnavigation


Sie sind hier: 

Bereichsnavigation


Hauptinhalt

Erfolgreicher Abschluss des Forschungsprojekts „Lebenschancen im Quartier“ an den Fachgebieten Raumordnung und Planungstheorie und Stadt- und Regionalsoziologie

Die Fachgebiete Raumordnung und Planungstheorie und Stadt- und Regionalsoziologie haben an der Fakultät Raumplanung der TU Dortmund fast zwei Jahren lang gemeinsam das Forschungsprojekt „Lebenschancen im Quartier“ durchgeführt. Ende Juni 2018 ist die inhaltliche Arbeit daran erfolgreich abgeschlossen worden (Projektleitung: Prof. Dr. Susanne Frank und Prof. Dr. Thorsten Wiechmann, Projektbearbeitung: Dr. Nina Schuster und Dipl.-Ing. Anne Volkmann).

Das Projekt hat seit Oktober 2016 knapp zwei Jahre lang in der Stadt Remscheid erforscht, inwiefern sich das Wohnquartier auf die Lebenschancen seiner BewohnerInnen auswirkt. Ausgangspunkt der Forschung war die in der Stadtsoziologie grundlegende Frage danach, ob Quartiere die Ursache für soziale Benachteiligung sind oder ob sie lediglich der Ort sind, an dem Benachteiligung sichtbar wird. Davon ausgehend, dass die Lebenschancen von Personen über deren Wahlmöglichkeiten in der Lebensgestaltung bestimmen, wurde analysiert, welchen Einfluss soziale Zugehörigkeit und soziale Netzwerke, aber auch Lebenslage und Lebenssituation auf die Lebenschancen haben und welche Rolle die BewohnerInnen in diesem Zusammenhang ihrem Quartier zuschreiben. In diesem breit diskutierten Feld hat das Projekt einen neuen Forschungsansatz entwickelt und erprobt. Dieser stellt die Erfüllung von Bedürfnissen der BewohnerInnen unterschiedlicher soziale Gruppen und Lebenslagen in einen Zusammenhang mit ihrer Verfügung über Ressourcen (Bildungsgrad, Wissen, Einkommen, soziale Netzwerke) in den Mittelpunkt. Sie werden als Mittler von Lebenschancen konzipiert. Das Quartier bildet dabei einen Teil des Raums, der Möglichkeiten zur Erfüllung von Bedürfnissen bietet.

Die Fallstudien des Projekts waren zwei Stadtteile in Remscheid im Bergischen Land. Heute ist Remscheid als Mittelzentrum mit knapp 113.000 EinwohnerInnen die kleinste kreisfreie Großstadt in NRW – die Stadt hat seit 1970 etwa 17 % ihrer EinwohnerInnen verloren (Stadt Remscheid 2018). Die Stadt ist seit der Industrialisierung von Zuwanderern geprägt und besitzt mit 17,4 % einen hohen Ausländeranteil. Der Anteil an EinwohnerInnen mit Migrationshintergrund beträgt sogar 36,2 %. Seit den 1970er Jahren ist die Stadt mit den Folgen des ökonomischen (Deindustrialisierung) und des demografischen Strukturwandels (Schrumpfung, Alterung, Heterogenisierung) konfrontiert. Um den Zusammenhang zwischen Lebenschancen und Wohnquartier zu untersuchen, wurden unterschiedliche Personen in verschiedenen Lebenslagen betrachtet, und zwar in zwei sehr unterschiedlichen Stadtteilen. Dadurch konnten ein Vergleich der Wirkungen der Quartiere auf die BewohnerInnen angestellt werden. Die erste Fallstudie war ein innenstadtnahes, funktionsgemischtes Altbauquartier mit gemischter Baustruktur, das im gesamtstädtischen Vergleich stark durch MigrantInnen geprägt ist (Anteil: 60,6 %); bei der zweiten Fallstudie handelt es sich um einen Stadtteil in Stadtrandlage, der zum Teil als monofunktionale Großwohnsiedlung angelegt ist und ebenfalls stark durch MigrantInnen geprägt ist (Anteil: 46,6 %).

Mit mehreren empirischen Zugängen, sowohl quantitativen als auch qualitativen Methoden, hat das Projekt die Frage nach den Effekten des Wohnquartiers auf die Lebenschancen seiner BewohnerInnen bearbeitet. Neben der Auswertung kleinräumiger statistischer Daten wurde eine geodatenbasierte Online-Bewohnerumfrage entwickelt, in der es um die Bewertung von Orten in Stadt und Stadtteil ging. Darüber hinaus wurden Walking-Interviews und Ortserkundungen sowie teilnehmende Beobachtung in den Stadtteilen, zahlreiche Experteninterviews sowie 40 leitfadengestützte Interviews mit BewohnerInnen zu deren Alltagsgestaltung durchgeführt. Insbesondere auf der Basis der BewohnerInneninterviews mit sehr unterschiedlichen Personen in vielfältigen Lebenslagen hat das Projekt analysiert, welche Möglichkeiten der Stadtteil seiner Bewohnerschaft bietet, und welche nicht. Es ging darum, zu klären, welche Ressourcen (soziale, materielle, bildungsbezogene) die BewohnerInnen brauchen, um ihre Lebenschancen zu realisieren, aber auch, inwiefern sie ihre Ressourcen im Stadtteil erweitern können.

Als Ergebnis lässt sich festhalten, dass viele der InterviewpartnerInnen zufrieden mit den Möglichkeiten in ihren Wohnstadt­teilen sind. Dennoch konnte das Projekt auch herausarbeiten, dass der jeweilige Stadtteil auf einige BewohnerInnen benachteili­gend wirkt, also dort Barrieren existieren, die sie daran hindern, ihre Lebenschancen zu verwirklichen. Insbesondere für diejenigen, die aufgrund struktureller Mechanismen in Bezug auf ihre Ressourcen schlechter als andere dastehen, können die Stadtteile je nach Lebensphase und sozialer Schicht­ mit zu einer Benachteiligung beitragen: etwa, weil sie wenig Geld zur Verfügung haben, über wenig Bildung verfügen oder die Sprache nicht ausreichend gut beherrschen, um sich ihre Lebenspläne zu erfüllen und im Leben weiter zu kommen. Deutlich wurde in der Analyse die große Bedeutung, die der Mobilität der BewohnerInnen zukommt. Wenn BewohnerInnen über Möglichkeiten verfügen, den Stadtteil zeitweise und für bestimmte Zwecke zu verlassen, erweitern sich ihre Möglichkeiten, sich Bedürfnisse zu erfüllen, deutlich über die Grenzen des Stadtteils hinaus. Denn zwar lassen sich strukturelle Probleme (wie Armut oder Arbeits­losigkeit) nicht auf Stadtteil- oder kommunaler Ebene lösen. Aber neben einer guten ÖPNV-Anbindung der Stadtteile und bezahlbaren Tickets ermöglichen z. B. funktionie­rende Stadtteilzentren, dass die BewohnerInnen ihre sozialen Netzwerke auch im Stadtteil ausbauen und ihre Sprachkenntnisse verbessern können, um die eigenen Lebenspläne zu verwirklichen. An diesen Punkten sollte die Politik ansetzen, wenn sie sozialer Benachteiligung auf Quartiersebene entgegenwirken will.

Bei einer Abschlusskonferenz im Vaßbendersaal der Stadt Remscheid haben die Projektbeteiligten am 19. Juni 2018 ihre Ergebnisse der städtischen Öffentlichkeit präsentiert und zur Diskussion gestellt. Die Ergebnisse des Projektes „Lebenschancen im Quartier“ werden im Winter 2018 u. a. in einer eigenen FGW-Studie veröffentlicht. Mit den Ergebnissen will das „MOSAIK“-Projekt, das derzeit ebenfalls in Remscheid forscht, in den kommenden Monaten weiterarbeiten, allerdings mit dem Fokus auf das Zusammenleben im Quartier. Ab 2019 wird „MOSAIK“ gemeinsam mit Bürger_innen und Akteuren vor Ort Strategien für eine sozial-räumliche Integration der Stadtteile entwickeln.

 

Das Projekt „Lebenschancen im Quartier“ wurde finanziert durch das Forschungsinstitut für gesellschaftliche Weiterentwicklung (FGW) des Landes Nordrhein-Westfalen (Ministerium für Innovation, Wissenschaft und Forschung), Laufzeit und Dauer: 2016-2018, Projektleitung: Prof. Dr. Susanne Frank (SOZ), Prof. Dr. Thorsten Wiechmann (ROP), Projektbearbeitung: Dr. Nina Schuster (SOZ), Dipl.-Ing. Anne Volkmann (ROP).

Kontakt: Dr. Nina Schuster